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Gespräche zu Stücken
Stefan Maria Marb: Liquid Face



2014 hast Du das Butohatelier gegründet, ich glaube mit oder aus den Teilnehmer:innen Deiner Butohkurse, die Du wöchentlich in der Tanztendenz veranstaltest?

Zuerst entwickelte sich 2011 das Butoh_Lab aus den Butohkursen in der Tanztendenz – für die Fortgeschrittenen unter den Teilnehmer:innen. Daraus entstand schließlich 2014 die Performance "Love_Child" im Domagk 50 und im Anschluß dann das Butohatelier aus den Mittwochskursen, offen für alle.

Es ist ja prinzipiell, wenn ich das recht verstehe, eine Arbeit mit Laientänzer:innen, von denen jedoch viele schon sehr lange mit Dir arbeiten. Kann man da überhaupt noch von Laien sprechen?

Die meisten Teilnehmer:innen sind schon mehrere Jahre dabei, einige besuchen meine Kurse tatsächlich schon seit 15 Jahren; jedes Jahr kommen aber auch neue hinzu, was der Arbeit insgesamt sehr gut tut. Die Idee für die performative Arbeit mit Nichtprofis kam aus einer Not heraus, als mir 1993 ein Profitänzer bei einer Bühnenproduktion kurz vor der Premiere absagte. Da holte ich dann den begeisterten Laien Dr. Christian Stübner auf die Bühne, der fortan meine Arbeit voller Leidenschaft begleitete. Ich bereute diese Entscheidung nicht, im Gegenteil, sie öffnete mir die Augen für die vielfältigen Möglichkeiten des Butohtanzes, wo beispielsweise das Alter ein Qualitätskriterium ist. In dieser Kunstform sind die Grenzen zwischen Profis und Laien durchlässig, der rein körperlich-tänzerische Aspekt wird im Butoh durch psychologisch-geistige Fähigkeiten ergänzt und erweitert, die sich erst aus einer langjährigen intensiven Beschäftigung einstellen.

Was ist die Motivation der Teilnehmer:innen Deiner Kurse bzw. was ist die Motivation der Teilnehmer:innen sich mit Butoh-Tanz auseinanderzusetzen.

Es herrschen sehr unterschiedliche Motivationen. Zum einen lässt Butoh auch im Alter Raum und Gelegenheit, den persönlichen Ausdruck zu schulen und zu erleben; andere wiederum suchen generell nach einer individuellen psychophysischen Ausdrucksmöglichkeit, wieder andere möchten einfach Ihre eigene dunkle Seite kennenlernen.

Mit dem Butohatelier führst Du ca. einmal im Jahr eine öffentliche Performance auf, dieses Jahr „Liquid Face“, wie läuft da der Probenprozess bzw. wie verläuft der Prozess vom Workshop zu den Proben.


Wir beginnen einmal die Woche an den regulären Mittwochstrainings zum Thema (in diesem Fall eben ‚Gesicht‘) zu improvisieren und individuelles Bewegungsmaterial zusammentragen, was ich auch filmisch dokumentiere. Diese erste Phase, meist ca. an zehn Terminen, erlaubt den Teilnehmer:innen sozusagen den inneren Zugang zur Thematik, danach im zweiten Abschnitt der Probenphase, die zweiwöchige tägliche Proben umfasst, wird das Ganze sukzessive bis zur Premiere in eine choreografische Form gegossen und an den Spielort angepasst.

Die Themen Deiner Performances mit dem Butohatelier – "Totentanz", "Das heilige Spiel", "Engel" – sind oft mythisch oder sakral konnotiert. Wie wählst Du oder ihr aus? Oder würdest Du eher sagen nicht mythisch oder sakral sondern in einem tieferen oder inneren Zusammenhang zu Butoh als Kunstform stehend?

Meist gebe ich die Thematik nach einer gründlichen Recherche vor; es sollte eine zeitlose Thematik sein, welche unser eigenes fragiles Menschsein reflektiert und sie muss mich als Leiter auch wirklich interessieren. Darüber hinaus sollte das Thema mit Butoh im weiteren Sinn zu tun haben, wo tatsächlich rituelle, mythische und auch ‚schattige‘ Themen einen Platz beanspruchen. Dann wird der Kurs ausgeschrieben und interessierte Teilnehmer:innen melden sich an. Im Verlauf der Improvisationsphase und der Probenphase kommen dann weitere Ideen der Teilnehmer:innen hinzu, die Thematik wird so angereichert und erweitert.

Deine jetzige Performance „Liquid Face“ hinterfragt die Diskrepanz von erlernter sozialer Maske und dem Antlitz als Spiegel der Seele…

Ganz genau; uns treiben die Fragen um: Was verbirgt sich hinter unserer Persona (ein Begriff aus dem altgriechischen Theater für die Maske)? Was müssen wir da eigentlich verbergen? Welche emotionalen Impulse werden im sozialen Kontext zurückgehalten? Wird das alles mal hinterfragt und werden die Masken gelüftet, so verliert das Gesicht zunächst seinen Halt, die seelischen Impulse dürfen ans Tageslicht, das Gesicht wird quasi ‚liquide‘.

Du schreibst in deinem Text zu „Liquid Face“: „Eine manifeste Spaltung von Gesicht und Körper kann so schrittweise aufgehoben werden und eine kreative Integration ermöglichen, welche befreiend wirkt.“ Ein fast psychoanalytischer Ansatz?

Ja, das klingt schon ein wenig psychoanalytisch, ich bin ja auch vom Fach… (Stefan Maria Marb ist studierter Diplompsychologe, Anm. d. Red.). Wobei es passt zu meinem ganzheitlichen Verständnis von Butoh, dass hier der in Deiner Frage angesprochene Prozess neben der seelischen Komponente in erster Linie den Körper als das integrierende Element anspricht.

Mit Deinen eigenen, wie auch mit den Performances des Butohateliers, gehst Du sehr oft in Nicht-Theaterräume, wie Museen, ein Flußufer oder wie in „Liquid Face“ in den Park der Mohr-Villa.

Gerne gehe ich mit Projekten an ‚lebendige‘ Plätze, die eine Geschichte atmen, welche die inszenierte Thematik widerspiegelt und wo meine Tänzer:innen sowie das Publikum leicht einen persönlichen Bezug finden. Der Park der Mohr-Villa ist wunderbar weitläufig, riesige Bäume umfassen ein großzügiges Areal und lassen den Tanz in „Liquid Face“ in der Natur atmen.

Langjähriger Kollaborateur bei deinen Stücken ist der Schauspieler Gerd Lohmeyer und der Cellist Jost-H. Hecker, auch in „Liquid Face“ sind beide wieder dabei. Wie verbinden sich Sprache und Musik bei Dir mit dem Tanz? Was für eine Funktion kommt ihnen zu?

Gerd ist einer meiner eifrigsten Butohschüler, der jetzt bereits acht Jahre zu meinen Kursen kommt. Dadurch, dass er in seinem Schauspiel wirklich als Vollprofi agiert, bringt er diese professionelle Haltung in die Butoharbeit mit ein und bereichert so die anderen Tänzer:innen aus dem Laienbereich ungemein. Dazu eröffnet seine Stimme einen zusätzlichen wunderbaren Resonanzraum in den Butohstücken – ganz hervorragend eignen sich dabei z.B. in „Liquid Face“ einige Rilketexte. Mit Jost habe ich das erste Mal in der Glyptothek 2017 in meiner Soloperformance "TIME CODES-EPHEMER" zusammengearbeitet, es war ein Glücksfall. Auch er ist ein Vollprofi, er improvisiert virtuos und spielt auch Klassisches; beides mit großer Leidenschaft und Präzision, das passt sehr zu Butoh. Damit kann er flexibel im Moment auf Gerds Stimme und auf den Tanz gleichermaßen reagieren und agieren. Beide bilden in ihren Aktionen in den jeweiligen Stücken zusammen eine wichtige verbindende Klammer.


“Liquid Face“ findet am 3. & 4. Juni, jeweils um 20:30 im Park der Mohr-Villa statt: INFO

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Das Interview führte Simone Lutz, Mai 2022


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