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Gespräche zu Stücken
Moritz Ostruschnjak: Terminal Beach



„Terminal Beach“, das klingt ziemlich dystopisch…

Ich habe auch nach einem dunklen, vielleicht auch etwas depressiven Titel gesucht, der aber viele Assoziationsfelder aufmacht, zumindest für mich. Und natürlich, es hat auch was mit der Pandemie zu tun. Ich habe so das Gefühl mein positiver Enthusiasmus der letzten Jahre hat sich etwas verflüchtigt. Das ist jetzt eher „the dark side“.

Ich fand ja schon, dass Dein letztes Stück „Yester:Now“ die Brüche in unserer Gesellschaft, die ja die Pandemie recht scharf beleuchtet, thematisiert.

„Terminal Beach“ hat ja auch viele Verbindungen zu „YESTER:NOW“ in Punkto Dynamik, Körperlichkeit, in der Verwendung von Ironie und auch in einer gewissen Konkretheit. Aber ich würde sagen, es ist nicht ganz so „in your face“, nicht so „Trump-Time-mässig, hier ist es jetzt eher geisterhaft, ungreifbar, unheimlich. Die gesellschaftliche Stimmung, die letztes Jahr ja schon aufgeheizt war, ist für mich jetzt noch aggressiver, auch undurchschaubarer geworden. Es hat stimmungstechnisch für mich so was vom Zusammenbruch, der Welt wie wir sie kennen. Deshalb hat, gerade am Anfang der Arbeit, „Terminal Beach“ für mich auch immer etwas mit der Wilden Jagd, mit Geisterheeren als Vorboten und schlechte Omen zu tun.

Du führst uns also direkt in eine noch größere Katastrophe hinein?

Mal schauen… aber das ist ja nie ironiefrei, wir arbeiten ja immer stark mit Ironie, die choreografisch vor allem aus Stil- und Genre-Brüchen entsteht. Also eben harte Schnitte von zeitgenössischem Tanz hin zu populären oder performativen Sachen, oder von einer absoluten, überraschenden Konkretheit zu etwas zeitgenössisch Abstraktem. Diese Brüche sind es auch, die für mich immer das Internet aufgreifen, in Form einer Browser-Dramaturgie oder Browser-Logik.

Da entsteht bei Dir auch gerne mal ein Missverständnis, finde ich. Du bringst ja nicht das Internet auf die Bühne – das hast Du vielleicht einmal mit „Autoplay“ gemacht – sondern im Prinzip greifst Du das Netz dramaturgisch auf.

Genau: Swipe – next – swipe, das ist eigentlich manchmal wie eine TikTok-Dramaturgie, die wir benutzen und für die Bühne adaptieren. Wir eignen uns diese Browser-Logik an, kippen sie
in die Realität uns schauen, was passiert, wenn wir so Theater machen.

Du verwendest für Deine Stücke ja auch eine Copy&Paste-Arbeitsmethode, also Du arbeitest mit Bewegungsschnipseln aus dem Netz – kannst kurz erklären, wie das läuft.

Wir arbeiten mit Videos, mit Bewegungsmaterial aus dem Netz, das wir zu bestimmten Themen oder Genres sammeln. Aus diesem Material nehmen wir ein paar Sekunden raus, sampeln die und kleben sie aneinander und dann sehen mein Team und ich uns das an und da kommen immer wieder überraschende Sachen dabei raus. Das bildet die Basis, in die ich dann eingreife und meine Stückstruktur baue.

Bei „Terminal Beach“ hast Du dieses Prinzip aber noch eine Ecke weitergedreht.

Wir haben vor allem mit Trailern gearbeitet, die ja in sich schon geschnitten sind und zudem das dann rückwärts abgespielt, und die Tänzer:innen haben es dann rückwärts einstudiert. Daraus ergibt sich eine merkwürdige, ganz „strange“ Art von Bewegung, etwas Irreales. Man hat noch eine vage Ahnung von etwas Bekanntem, das man aber nicht mehr verorten kann, und das so etwas Unheimliches erzeugt. Das Interessante ist hier auch nicht Material umzudrehen, um spannende Bewegungen zu bekommen, sondern der Ansatz ist das Rückwärtslernen der Dynamik und was sich damit dramaturgisch anfangen lässt.

Da kommt jetzt auch das Zitat von Marshall McLuhan ins Spiel, das für Dich ja gewissermaßen über dem Stück steht: „We look at the present through the rear view mirror. We march backwards into the future.”

Ja, das passt für mich nicht nur zum Stück, sondern in die Zeit. Man muss sich ja nur die Entwicklung in manchen Ländern ansehen in Bezug auf Demokratie, da war man ja schon mal weiter. Jetzt gibt es auf vielen Feldern, wie Pressefreiheit, Überwachung etc. eigentlich einen Rückschritt, auch dass plötzlich autoritäre Regime wieder en vogue sind, dass sich so eine Wild-West-Mentalität breitmacht. Zudem habe ich das Gefühl, dass der technische Fortschritt den gesellschaftlichen Rückschritt auch verursacht, also, dass sich das gegenseitig irgendwie bedingt. Das finde ich interessante, dass wir technisch so weit voranschreiten, aber gleichzeitig scheint eine Sehnsucht nach dem Rückwärts zu entstehen. Inwieweit das im Stück jetzt ganz konkret sichtbar ist… – aber „Terminal Beach ist schon „back to the future“ auf seine Art.


„Terminal Beach“ ist am 14. + 15. Januar 2022, 20:00 Uhr im Utopia zu sehen.
Hier gibts die Tickets

Mehr zu Moritz Ostruschnjak auf seiner Homepage


Das Gespräch mit Moritz Ostruschnjak führte Simone Lutz, Januar 2022


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